Dienstag, 18. Oktober 2016

Mein Tag vor Gericht

Am Freitag, dem 23. September 2016 war es endlich soweit.
Morgens um 09:30 Uhr sollte die Verhandlung beginnen.
Aufgrund der sehr angespannten Parkplatzsituation bin ich
schon um 09:00 Uhr da. Aber ich habe großes Glück!
Gerade fährt einer weg und so habe ich sofort einen Parkplatz.

Keine drei Minuten später stehe ich vor dem Eingang
zum Amtsgericht Barmbek in der Spohrstraße 6.
Der Eingang erinnert mich ein bisschen an die Situation
früher in der Schule, etwa ein Dutzend Raucher stehen vor
der Tür und nehmen keinerlei Notiz von mir, als ich
an ihnen vorbei ins Treppenhaus gehe.

Der Sitzungssaal 1.003 ist im ersten Stock, soviel ist mal klar.
Ansonsten kenne ich weder das Gebäude, noch weiss ich genau
wo ich hin muss. Zu meiner großen Überraschung sind die Gänge
hier Menschenleer. Schon allein dadurch wirken die Halle und
der Flur bedeutend größer als sie wirklich sind und ich fühle mich
fast ein bisschen verloren hier. Den Sitzungssaal habe ich schnell
gefunden, außer mir ist nur eine Uhr, ein Kaffeeautomat und mehrere
reihen mit Warte sitzen jeweils an der Wand hier. Es gibt vier Sitzungssäle
und neben jeder Eingangstür hängt ein Schild auf dem in großen Fetten
Buchstaben steht: "Die Sitzung ist ÖFFENTLICH".

Auf einem Schild daneben ist eine Liste mit den jeweiligen
Verhandlungsterminen angebracht. Meine Verhandlung ist heute
gleich die erste. Aber außer mir ist noch niemand da. Also, im Film
sieht sowas immer ganz anders aus. Selbst in einem deutschen
Film würde hier zumindest einer dem Flur fegen oder sowas.

Ich habe zwar nicht damit gerechnet, das die Leute sich hier gegenseitig
tot treten, aber das ich ganz alleine sein würde hätte ich mir im Leben
nicht träumen lassen. Am Vorabend hatte ich mir noch vorgestellt einer
von vielen zu sein und wie am Fließband abgefertigt zu werden.
Etwa so wie in Harrys wundersames Strafgericht :-)

Irgendwann kommt eine Frau, sie lächelt, grüßt freundlich und setzt sich.
Dann kommt eine zweite, grüßt ebenfalls und lächelt nett und setzt sich
ein stück von der ersten entfernt hin. Jetzt kommt auch mein Anwalt und
nach den üblichen Begrüßungsfloskeln setzen wir uns ebenfalls, jedoch
auf die gegenüberliegende Seite.

Ein Mann im Anzug kommt, unverkennbar ein Anwalt, und offenbar ist
er im falschen Gericht gelandet. Die Anwälte scherzen miteinander und
dann ist er auch schon wieder weg. Jetzt muss es auch für mich bald los
gehen, die Uhr ist fast halb zehn.

Dann geht wieder die große Automatikglastür zur Vorhalle auf und herein
kommt ein sehr großer schlanker Mann mit Bart. Seine schwarze Robe läßt
ihn kräftiger erscheinen als es den Anschein hat. Er trägt eine Menge Akten
vor sich her und begrüßt alle Anwesenden mit einem kraftvollen "Guten Morgen!"

Das kann nur der Richter sein, denke ich mir. Und so geht er auch auf meinem
Gerichtssaal zu und schließt die Tür auf. Als er sie öffnet ruft er noch kurz den
Fall auf und geht hinein.

Was ich jetzt sehe überrascht mich schon wieder. Der Saal erscheint mir kleiner
als mein Wohnzimmer! Ich hatte zumindest mit einem Raum etwa so groß wie
ein Klassenzimmer gerechnet. Mit einer leicht erhöhten Richterbank, einem
gewissen Abstand zum Tisch der beiden Anwälte und etwas Platz für Publikum.
Dieser Gerichtssaal jedoch verbreitet von Anfang an eine fast intime Atmosphäre.

Alle Teilnehmer sitzen eng beieinander. Der Richter und seine Protokollführerin(?)
sitzen an drei Standard Schreibtischen die nebeneinander gestellt sind. In der Mitte
davor steht ein normaler Tisch und jeweils zwei abgeschrägte Tische links und rechts
für die Klagepartei zur linken des Richters und der beklagten Partei zu seiner rechten.
Die Wand hinter uns ist vielleicht noch zwei Meter entfernt, und dort stehen noch etwa
fünf Sitzplätze für etwaige Zuschauer.

Ich wollte schon immer mal bei einer richtigen Verhandlung zuschauen, aber wenn
ich zu so einer Verhandlung als unbeteiligter gekommen wäre, hätte ich womöglich
meinen Kopf kurz zur Tür reingesteckt und wäre dann wieder gegangen. Auch wenn
die Verhandlung an der Tür als öffentlich ausgeschrieben war, in so einem kleinen Raum
fühlt man sich zwangsläufig wie ein Eindringling.

Es geht ja auch niemand in den Zirkus, wenn der Löwe so dicht ist,
daß er einem in den Kopf beissen kann.

Das ich mit diesem Gefühl nicht allein bin, zeigt eine Frau, die während der Verhandlung
kurz reinkommt, kurz guckt und dann schnell wieder weg ist.

Zum Inhalt der Verhandlung selber will und werde ich mich hier nicht äußern.

Nur so viel sei gesagt, im Fernsehen wirkt so etwas trotz feuriger Wortduelle immer
geordnet, sachlich und zivilisiert, genau kalkuliert und beinahe kalt.
Aber das sind eben Schauspieler die einem genauem Skript folgen.

Genau so ist es aber auch in Wirklichkeit, nur vollkommen anders.
In Wirklichkeit wirkte das ganze, zumindest auf mich, wesentlich menschlicher.
Sehr schwer zu beschreiben. Okay, ich war jetzt auch ein Teil des Geschehens.
Schon deswegen hat mich die Sache nicht ganz kalt gelassen. Letzten Endes
haben beide Parteien haben leidenschaftlich gestritten und alle Argumente vorgetragen.

Mit dem Ergebnis bin ich zufrieden, auch wenn ich es mir anders gewünscht hätte.
Aber so ist das im Leben, man bekommt nie was man sich wünscht und nur selten
das was man verdient.